Der zunehmende Druck durch ESG-Regulierung, veränderte Arbeitsplatzstrategien, geringeren Büroflächenbedarf der Nutzer und wirtschaftliche Herausforderungen führen dazu, dass Büroflächen in Europa zunehmend von Obsoleszenz, sprich: Veralterung, bedroht sind und Gefahr laufen, nicht mehr marktgängig sein und somit unvermietbar zu werden. Eine neue Analyse von Cushman & Wakefield, einem der größten Immobilienberatungsunternehmen weltweit, zeigt, dass allein in 16 europäischen Schlüsselstädten bis 2030 mehr als 170 Mio. m2 davon gefährdet sind. Das entspricht mehr als dem Sechsfachen des gesamten Bürobestands in Zentral-London.
Leerstand und Flächennachfrage
Die Leerstandsquoten in Deutschlands fünf größten Büromärkten (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und München) stiegen bereits zwischen Q4 2019 und Q3 2024 um durchschnittlich 4,1 Prozentpunkte und werden laut Prognosen bis Ende 2027 um weitere 1,7 Prozentpunkte anwachsen. In Kombination mit veränderten Anforderungen an Büroflächen und insbesondere Flächengrößen durch die zunehmende Verbreitung hybrider Arbeitsmodelle und den sogenannten „Flight-to-Quality“-Trend werden ältere und weniger wettbewerbsfähige Flächen zunehmend unter Druck geraten.
Eine Untersuchung der von Cushman & Wakefield neu abgeschlossenen Mietverträge ab er einer Größe von 1.000 m2 in Deutschland zeigt, dass zwei Drittel der Nutzer ihre Flächen am neuen Standort stabil halten oder reduzieren. Im Durchschnitt wurden die neu angemieteten Flächen um 19 Prozent im Vergleich zu den vorherigen Standorten verkleinert. Dieser Trend ist eine direkte Folge der hybriden Arbeitsmodelle, der anhaltenden wirtschaftlichen Unsicherheit und des wachsenden Bedarfs an effizienteren, qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen.
Der deutsche Markt: Herausforderungen und regionale Unterschiede
In den Top-3-Büromärkten Berlin, Frankfurt und München wird bis 2030 zwischen 60 und 70 Prozent des Büroimmobilienbestands älter als 20 Jahre sein. Dieser Anteil allein birgt ein signifikantes Risiko für die Vermietbarkeit, insbesondere da viele dieser Immobilien nicht den modernen ESG-Standards entsprechen.
Besonders in zentralen Lagen von Berlin, Frankfurt und München bietet die Neupositionierung bestehender Immobilien die beste Lösung. Investoren müssen jedoch steigende Baukosten berücksichtigen, die selbst in attraktiven Innenstadtlagen die Wirtschaftlichkeit umfassender Sanierungen einschränken. Diese Lösung umfasst Maßnahmen wie die Verbesserung der Energieeffizienz, die Integration moderner Technologien und die Neugestaltung von Innenräumen, um den Anforderungen moderner Arbeitsumgebungen zu entsprechen.
In dezentralen Lagen stellt sich die Situation anders dar: Hier werden umfassende Sanierungen in den meisten Fällen als unwirtschaftlich eingestuft. Stattdessen können Umnutzungen in alternative Nutzungsarten – beispielsweise zu Wohnraum oder gemischt genutzten Gebäuden – eine rentable Option sein. Der sinkende Wert von Büroflächen in diesen Lagen macht diese Option zunehmend attraktiv. Diese Strategie erfordert jedoch eine sorgfältige Analyse lokaler Bedürfnisse und Marktdynamiken.
Osteuropa und Deutschland besser als andere europäische Märkte
Während westeuropäische Märkte wie Mailand (86 Prozent gefährdeter Bürobestände), Barcelona (81 Prozent) oder Paris (80 Prozent) aufgrund ihrer insgesamt älteren Immobilienbestände größere Risiken aufweisen, bietet Deutschland eine relativ stabilere Ausgangslage. Regelmäßige Investitionen und Sanierungen haben dazu beigetragen, dass der Anteil gefährdeter Bestände hier niedriger ausfällt. Dennoch zeigen Städte wie Berlin (65 Prozent), Frankfurt (70 Prozent) und München (60 Prozent), dass erhebliches Verbesserungspotenzial besteht.
In osteuropäischen Märkten wie Warschau (40 Prozent) oder Budapest (43 Prozent) fällt der Anteil gefährdeter Bestände niedriger aus. Dies liegt vor allem daran, dass in diesen Märkten ein Großteil der Büroimmobilien in den vergangenen zwei Jahrzehnten errichtet wurde.
Tina Reuter, Head of Germany von Cushman & Wakefield, stellt klar: „Auch wenn Deutschland im westeuropäischen Vergleich verhältnismäßig gut dasteht: Wir stehen hierzulande vor komplexen Herausforderungen im Büroimmobiliensektor. Der Druck, moderne ESG-Standards zu erfüllen, sowie die veränderten Anforderungen der Nutzer machen eine Neuausrichtung vieler Immobilien unumgänglich. Die Anforderungen an Energieeffizienz und Annehmlichkeiten machen innovative Lösungen wie flexible Arbeitsbereiche und Mixed-Use-Konzepte essenziell. Ohne gezielte Investitionen wird ein erheblicher Teil der Büroflächen in den kommenden Jahren ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren.“